Ich halte Augen offen für Gelegenheiten

Fotokünstlerin Iwona Knorr erkundet die Insel von innen

Drei Worte, mit denen Sie sich selbst beschreiben würden? Fotografie. Menschen Natur.

Ihr Lieblings-Accessoire ist die Kamera. Als Fotokünstlerin arbeiten Sie bevorzugt im Format Fotobuch. So ist auch RUGIA entstanden – ein Buch mit ausdrucksstarken Porträts von Menschen der Insel und sensiblen Texten. Sie selbst nennen es subjektives Porträt von Rügen. Wie ist dieses besondere Buch entstanden?
Ehrlich gesagt, habe ich mich an dieses Fotobuch herangesetzt, um selbst zu ergründen, wie ich Rügen sehe. Im Lockdown bin ich in mein umfangreiches Fotoarchiv eingetaucht und habe erst einmal gestaunt, wie viele schöne Bilder in den 14 Jahren entstanden sind. Ich habe mir intuitiv eine Arbeitsweise angeeignet, die darin besteht, die Insel von innen zu erkunden. Unscheinbare Wege einschlagen, Schönheit im Gewöhnlichen entdecken und interessiert auf Menschen zugehen.
Über die Jahre habe ich an mehreren Teilprojekten gearbeitet. Mich zog es zu den Lost Places und zur Natur. Mehrere Jahre lang habe ich die Küstenfischer beobachtet und fotografiert. Dann bin ich auf die Bauern und Jäger neugierig geworden, weil sie auch stark naturbezogen sind. Schließlich interessiert mich der Rüganer auch in seiner Freizeit, also beim Kleingärtnern, Kleintierzüchten und in seiner Garage. Seit sieben Jahren begleite ich mit meiner Kamera einen Jungen auf Wittow.

Sie sind in Polen geboren, haben Germanistik studiert und sich irgendwann in einen Rüganer verliebt. Diese Liebe hatte eine Insel im Schlepptau. Würden Sie sagen, Sie sind eingemeindet?
Damit bin ich sehr vorsichtig. Man gehört nicht einfach dazu, weil man sich das wünscht. Der Leitsatz von RUGIA lautet deshalb: „In diese Erde versenke ich meine Wurzeln. Nährt sie mich, werde ich heimisch“. Damit ist gemeint, dass ich bereit bin, mein Wurzelwerk auf dieser Insel zu entfalten. Den Halt, den ich zum Wachsen brauche, können mir aber nur Menschen geben, die bereits verwurzelt sind. Nehmen sie mich auf, werde ich mich wohl fühlen und gut gedeihen.

Was bedeutet Heimat für Sie?
Einen vertrauten Ort, an dem man sich frei und sicher fühlt. Ein stabiles und verlässliches Zusammenleben mit einem Menschenschlag, den man mag. Für mich trifft diese Definition ziemlich genau das, wie ich mich auf Rügen fühle. Bereits das Wissen, dass ich mich auf einer Insel befinde, beruhigt mich. In unserem Dorf leben hauptsächlich Einheimische. Man kennt einander, man hilft sich gegenseitig, und es verändert sich nicht viel. Durch meine Arbeit bin ich viel unterwegs und lerne immer wieder neue Menschen kennen. Es entstehen Verbindungen und Freundschaften. All das zusammen vermittelt das Gefühl der Zugehörigkeit und Geborgenheit – ein Heimatgefühl eben.

Was lernen Sie von den Menschen, die Sie porträtieren? Vor allem Gelassenheit. Ich schätze Natürlichkeit und Humor, der jede Situation entspannt. Das färbt schon beim Fotografieren auf mich ab. Ich sehe, dass eine sinnhafte Tätigkeit, wie schwer sie auch sein mag, Zufriedenheit stiften kann. Dass nur wenige wichtige Dinge stimmen müssen, um mit sich im Reinen zu sein. Ich bekomme auch Spannungen, Frust und Konflikte mit und spüre die starke Willenskraft, nicht aufzugeben. Diese natürliche Zuversicht, imponiert mir sehr.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich Menschen vor mir öffnen und mich an ihrem Leben teilhaben lassen.

Welche Künstler haben Sie auf ihrem Weg inspiriert – mit wem würden Sie gern mal einen Kaffee trinken gehen? (kann auch schon verstorben sein) Als Autodidaktin habe ich zunächst an einigen Masterclasses teilgenommen, um das Handwerkzeug von den Besten zu lernen. Mit dem Magnum-Fotografen Steve McCurry war ich zum Beispiel vor vielen Jahren auf einer Fotoreise in Thailand und konnte ihm bei der Arbeit über die Schulter schauen. Bei Heinz Teufel lernte ich die Präzision bei Nahaufnahmen und Walter Schels hat mich für das Authentische im Portrait sensibilisiert. Mittlerweile inspirieren mich weniger Persönlichkeiten als einzelne Werke verschiedener Künstler aus Fotografie, Malerei und Film. Aktuell würde ich wahrscheinlich gerne den Fotokünstler Paul Cupido aus den Niederlanden, der sehr sensibel und minimalistisch arbeitet, auf einen Kaffee treffen wollen.

Ihr Lieblingsplatz auf Rügen?
Auf jeden Fall in der Landschaft. Irgendwo, wo ich ganz alleine sein, ungestört beobachten und den Gedanken freien Lauf geben kann. Im Winter und beim schlechten Wetter habe ich natürlich eine größere Auswahl an solchen Orten. Auf Rügen gibt es aber genug Wege, um in absoluter Ruhe weit laufen zu können. Oft und gerne gehe ich entlang der Feldwege an der Kleinbahnstation Seelvitz spazieren. Da verirrt sich kaum jemand hin.

Gibt es einen Traum, den Sie sich 2024 unbedingt erfüllen möchten?
Ich habe alles, was ich brauche. Solange ich das tue, was ich für richtig halte, kann mein Beruf sehr erfüllend sein. Jeder Tag hat die Chance ein guter Tag zu werden. Ich halte meine Augen offen für Gelegenheiten und freue mich, wenn ich etwas Neues lernen kann.

Was darf ein Künstler/eine Künstlerin nicht?
Skrupel haben, Geld für seine/ihre Arbeit zu verlangen. Auch wenn sich viele von uns privilegiert fühlen, das zu tun, was wir lieben, investieren wir unsere Zeit und Energie, um das Leben anderer Menschen zu bereichern. Kunst ist eine Arbeit wie jede andere auch.

Die Welt scheint zuweilen verrückt und auch müde geworden, vieles ist im Umbruch… Was fehlt uns Menschen aus Ihrer Sicht, um Frieden, Leichtigkeit und Glück zu leben?
Uns fehlt gar nichts. Im Gegenteil, wir vergeuden unsere Energie für Kämpfe, die niemand braucht. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer bringt die Lösung auf den Punkt mit dem Satz: „Es ist so einfach Mensch zu sein!“ Allein Neid und Gier aus unserem Leben zu streichen, würde eine große Erleichterung für alle mit sich bringen.

Beenden Sie spontan den Satz:
Ich bin dankbar für…?
… meine Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wie kostbar sie für mich ist, habe ich im Lockdown stark zu spüren bekommen und zu schätzen gelernt. Nicht in allen Ländern der Welt ist Selbstbestimmung so selbstverständlich wie in Deutschland.
Interview: Ina Schwarz

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