Christian Ohm | Foto: Ina Schwarz

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

Ein Gespräch mit Christian Ohm, der seit 30 Jahren auf Rügen als Pastor unterwegs ist

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von Gottes Wort“, ist sich Christian Ohm sicher. Auf die Frage „Was der heutige Mensch braucht?“, antwortet der Pastor mit eben jenem Bibel-Zitat. Über drei Jahrzehnte wirkt der gebürtige Usedomer jetzt schon auf seiner Wahl-Insel Rügen. „rügen aktuell“ besuchte ihn in Altenkirchen auf seinem wunderschönen Pfarrgelände, um mit dem Theologen über Gott und die Welt zu reden.

Ist es besonders, ein Pfarrer zu sein?
Schwierige Frage… Das Besondere ist sicher, dass ein Pfarrer ganz vielfältig in verschiedenen Bereichen tätig ist. Und hier überall auch professionell tätig sein muss: Da ist die persönliche Seelsorge – ob man die Menschen im Dorf zum Geburtstag besucht oder sie begleitet bei schwierigen Übergängen, sprich Beerdigungen und Trauerarbeit. Ich bin lange Zeit Krankenhausseelsorger gewesen, habe das Hospiz mit aufgebaut, auch den ambulanten Hospizdienst und bin da noch immer sehr verbunden. Es geht darum, als Pastor und Seelsorger immer ein offenes Ohr zu haben. Ich denke, das ist schon eine relative Einmaligkeit in unserer Gesellschaft, dass es einen Beruf gibt bzw. eine Person, die unabhängig, ob du nun Kirchenchrist bist oder Nichtchrist, immer ansprechbar, einfach da ist. Und was ganz wichtig ist, alles, was besprochen wird, bleibt beim Pastor.

Es geht um Vertrauen, meinen Sie.
Ja, das ist etwas ganz Entscheidendes. Das merke ich oft in meiner Arbeit. Vor allem in existenziellen Situationen spielen weltanschauliche oder konfessionelle Dinge keine Rolle mehr. Eine weitere Besonderheit ist natürlich, dass der Pastor immer wieder versuchen muss – das ist seine Aufgabe – über Gott zu reden. Er muss den unsichtbaren, transzendenten Gott zur Sprache zu bringen. Das geschieht natürlich vielfältig und darum feiern wir auch immer wieder verschiedenste Gottesdienste. Jetzt im Sommer bieten wir u.a. mit Mittagsandachten Zeiten der Stille an, wo Einheimische und Urlauber zusammen kommen.

Stille und Andacht… eher seltene Qualitäten unserer Zeit.
Ja, und deshalb ein ganz wichtiges Momentum. In unserer heutigen Zeit, die hoch effizient und ausdifferenziert ist, muss Aufgabe von Religion sein, den Alltag immer wieder zu unterbrechen und hinzuweisen auf einen größeren Sinnzusammenhang, in dem wir als Menschen stehen. Jeder, der über sein Leben nachdenkt, kommt zu diesen Fragen. Und da ist die Antwort der Kirche eben die ganz lange große christliche Tradition, der Schatz der christlichen Spiritualität. Und all das kann man ganz unterschiedlich miteinander gestalten, wobei der Pastor sozusagen der theologische Fachmann ist, doch vieles gemeinsam mit der Gemeinde gestaltet.

Sie feiern Gottesdienste ganz unterschiedlich…
Genau. Nicht nur in der Kirche. Wir feiern zum Beispiel große Open Air Biker-Gottesdienste, wo viele Menschen zusammen kommen, die sicher nicht alle etwas mit Kirche zu tun haben. Die aber gern miteinander sind und ihr Anliegen vor Gott eben auf ihre Weise darbringen – oder Hafengottesdienste, Gottesdienste am Bodden oder die Ufer-Gottesdienste am Kap Arkona. Da spricht sozusagen der Ort immer mit – unter freiem Himmel.

Wollten Sie schon immer Pastor werden?
Ich komme aus einem ostdeutschen Pastoren-Haushalt. Mein Vater war Pastor und Superintendent auf Usedom. Ich habe mich schon in meiner Jugend sehr interessiert für Geschichte, Kunst und Religionswissenschaften. Ich habe dann auf Umwegen – Sie wissen, für Pastorenkinder war das zu Ost-Zeiten nicht einfach – mein Abitur machen können: Baufacharbeiter mit Abitur in Stralsund. Dann habe ich mir überlegt, was kannst du studieren – auch unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen, was diesen Interessenlagen entspricht. Und da kam eigentlich nur dieses universelle Studium der Theologie in Frage. Hätte ich im Westen studieren können, hätte ich mich sicher für Religionswissenschaften und Geschichte eingetragen.

Sie haben zunächst in Halle an der Theologischen Fakultät studiert, wurden dann aber exmatrikuliert. Was war der Grund?
Ja, ich durfte drei Semester dort studieren, habe mich dann gegen dieses para-militärische Zivilverteidigungslager ausgesprochen. Für mich war klar, alles, was tatsächlich in Richtung Militär geht, mache ich nicht mit. Ich ziehe keine Uniform mehr an. Und dann bin ich in einem groß angelegten Disziplinar-Verfahren der Disziplinar-Kommission der Universität mit anderen Kommilitonen exmatrikuliert worden. Ich hätte mich „bewähren“ und nach eineinhalb Jahren nochmal an der Uni bewerben können, doch da wusste ich schon, dass mache ich nicht. Ich bin dann nach Berlin gegangen an eine der drei unabhängigen kirchlichen Hochschulen. Das war eine hochinteressante Zeit.

Sicher mit Höhen und Tiefen…
Es herrschte dort an der Hochschule ein ganz freies akademisches und auch ein politisierendes Denken, ohne Zweifel. Ich habe im Prenzlauer Berg gelebt und war sehr in der Bürgerrechts- und Friedensbewegung engagiert: in Friedenskreisen, beim Politisches Nachtgebet. Es gab viele Begegnungen. Auch unangenehme. Ich bin mehrmals verhaftet und von der Stasi verhört worden – aber immer mit dem blauen Auge davon gekommen.

Waren/sind Sie rebellisch?
Rebellisch nein, konsequent ja. Ich habe immer gründlich nachgedacht. Das ist ja so eine Grundsätzlichkeit, dass man sich zu den Verhältnissen tatsächlich verhalten und dann auch entscheiden muss. Vielleicht war es zu DDR-Zeiten in manchen Bereichen existenzieller: was mache ich, was mache ich nicht mit? In einem liberalen Staat ist das nicht beliebig, aber ich kann mich so oder so entscheiden – es fällt mir nicht auf die Füße. Das ist wunderbar, dass wir in dieser Gesellschaft leben, aber für mich war es damals eben ganz wichtig, mich zu Wort zu melden und mich politisch zu engagieren – zumal wir Theologiestudenten damals durch die Kirche auch einen gewissen Schutz hatten. Wir konnten schon ein bisschen mehr den Mund aufmachen. Und diesen Freiraum habe ich deutlich genutzt.

Wie sind Sie schließlich nach Rügen gekommen?
Ich habe 1990 mein Examen gemacht und bin dann 1991 mit meiner Frau nach Rügen gekommen. Meine Frau war seinerzeit schon Pastorin in Altefähr. Und ich habe Rambin und Samtens als Vikariat gemacht. Ab 2009 bin ich dann in den Inselnorden gewechselt. Und hier nun für ganz Wittow, Wiek, Altenkirchen, Dranske, Vitt, Putgarden, Juliusruh, Breege und den halben Jasmund mit Glowe, Bobbin, Lohme und den vielen kleinen
Dörfern zuständig.

Sie nehmen auch Urlauber unter Ihre Fittiche?
Wir haben eine große Urlaubergemeinde, die relativ regelmäßig kommt, weil sie ohnehin Urlaub hier macht. Die Feriengäste kommen in die Gottesdienste oder zu den angebotenen kulturellen Veranstaltungen. Deshalb auch hier wieder dieses Doppelte: Dass wir zum einen Kirche sind und diesen menschenübergreifenden Sinnzusammenhang, in den wir gestellt sind, immer wieder mit den Gottesdiensten und Andachten leben – und dass wir aber auch sehr viele kulturelle, musikalische und inhaltliche Angebote machen. Eine Besonderheit von Nordrügen ist sicher der Kirchen- und Musiksommer mit seinen ca. 60 thematischen Veranstaltungen von Mitte Juni bis Ende September. Da gibt es Lesungen, Vorträge, Filmabende, Konzerte. Wichtige Orte sind hier unter anderem die Kirche in Altenkirchen, das Kosegartenhaus, die Kapelle in Vitt, die Kirche in Bobbin oder auch Dranske an der Kapelle open air und die Orgeltage in der Wieker Kirche.

Ihr Bücherregal ist enorm. Verraten Sie uns, was Sie gerade lesen?
Ich lese immer viel – meistens parallel. Gerade den Wieker Pfarrer Theodor Schwarz. Ein Freund von Caspar David Friedrich übrigens. Da mühe ich mich durch sein Buch „Der Pantheist“. Und dann lese ich noch Juliane Stückrad, eine Ethnologin, die ich eingeladen habe mit ihrem Buch „Die Unmutigen, die Mutigen“. Das sind Feldforschungen aus dem Osten. Und dann lese ich noch einen kanadischen Autor Waubgeshig Rice „Mond des verharschten Schnees“.

Interview: Ina Schwarz

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